Aum, das ursprüngliche Mantra, begleitet uns seit den Anfängen der Meditation im alten Indien.
Historischer Hintergrund
Aum wird erstmals in den frühen Upanishaden erwähnt, die auf das sechste oder siebte Jahrhundert v. Chr. zurückgehen. In der Mandukya Upanishad wird Aum als Darstellung der höchsten Wirklichkeit betrachtet: „ein Symbol für das, was war, was ist und was sein wird“, der vierte Zustand, der über den Wach-, Traum- und Tiefschlafzustand hinausgeht [1]. Die Katha Upanishad preist Aum als die „größte Unterstützung für alle Suchenden“ [2].
Aum wird als die Schwingung des kosmischen Motors beschrieben, das göttliche Mantra, das das Universum immer wieder ins Leben ruft. In diesem Sinne kommt es dem ersten Satz nahe, den der biblische Gott aussprach („Es werde Licht“). Es ist das Mantra der Manifestation und Verwirklichung, das erste Wort, und aus diesem Grund wird es manchmal verwendet, um die eigene Manifestationskraft zu stärken. Es ist faszinierend festzustellen, dass das aramäische (und später christliche) „Amen“ ganz ähnlich klingt – vor allem, wenn der Klang verlangsamt und länger gemacht wird: „Aaaaa-mmmmm-ennnnnn“. Es ist das Wort, das das Gebet bestätigt und seine Manifestierung ermöglicht. „Ameen“, das arabische Äquivalent, ist in diesem Sinne ebenfalls ähnlich.
In der Meditation ist Aum die direkte Darstellung des Selbst (Atman), von dem es heißt, dass es in der inneren Höhle unseres Herzens wohnt. Das heißt, wenn wir diesem Klang bis zu seiner Wurzel folgen, führt er uns zur Selbstverwirklichung. Letztendlich ist Aum kein Mantra, das wir rezitieren müssen, sondern ein essentieller Klang, den wir in den Tiefen der meditativen Stille hören und entdecken können, wenn unser Geist zu einem unbefleckten Spiegel geworden ist, der die wahre Natur des Selbst reflektiert. Auf diese Weise erkennen wir, dass Aum schon immer da war und dass es kein von Menschen gemachtes Mantra ist. (Bezeichnenderweise gibt es Aum in keiner alphabetischen Sprache und es kommt nur als Symbol in Sanskrit, Pali und Tibetisch vor). Das heißt aber nicht, dass das Chanten oder Meditieren dieses Mantras – in umgekehrter Richtung – nicht sehr nützlich sein kann
Sinn und Zweck
Aum ist die grundlegendste Mantra-Meditation. Der Begriff „Mantra“ bedeutet übersetzt „Instrument des Denkens“ und kann somit als der eine Gedanke betrachtet werden, der uns über das Denken hinausführt. Mantren machen sich das Prinzip „worauf du dich konzentrierst, wirst du“ zunutze: Sie sollen unser Wesen vereinigen, indem sie unseren Geist und unser Herz auf einen einzigen Gedanken fokussieren und unsere Aufmerksamkeit von falschen Gedanken auf den einen Gedanken lenken, der unser wahres Selbst darstellt. Wenn das Mantra seine Aufgabe erfüllt und dich zu deinem wahren Selbst geführt hat, verschwindet es natürlich in der Stille deiner Meditation.
Mantras wie Aum sind nicht nur mentale Werkzeuge, sondern werden als Klänge wahrgenommen, die vor dem menschlichen Denken und außerhalb des menschlichen Geistes existieren. Es sind Klänge, die von den alten Sehern gesammelt wurden, die die Schwingungen der Natur und des Kosmos aufzufangen schienen. Wenn wir diese Klänge in unserem Geist und unserem Herzen widerhallen lassen, kommunizieren sie direkt mit unserem schwingenden Wesen und spielen das Musikinstrument, das wir sind. Der Zweck ist klar: Wenn wir ihnen bis zu dem Ort folgen, aus dem sie kommen, führen sie uns zu unserem ursprünglichen Wesen zurück, genau wie die sanfte Stimme einer Mutter, die uns auffordert, nach Hause zu kommen.
Praxis
Obwohl Aum das am weitesten verbreitete Mantra der Welt ist, wird es im Westen nur wenig als Meditationspraxis genutzt. Das liegt an falschen Vorstellungen darüber, wie wir es aussprechen und wie wir es verwenden.
Die Mandukya Upanishad macht deutlich, dass das Mantra zwar unteilbar ist, aber aus drei Grundlauten besteht: A-U-M [3]. Das bedeutet, dass es nicht das platte „Om“ ist, wie die meisten Menschen es kennen und aussprechen. Es heißt, dass alle Laute Kombinationen dieser drei Grundlaute sind oder sich von ihnen ableiten. Sie sind wie die subatomaren Teilchen, aus denen jedes Atom im Universum besteht. Interessanterweise sind dies auch die drei Laute, die jemand, der keine Zunge hat, aussprechen kann.
Die richtige Aussprache ist wie folgt: Öffne deinen Mund und sage „A“; schließe deinen Mund leicht und es wird „U“; schließe ihn vollständig und es wird „M“. Das sind drei aufeinander folgende Laute, die im Grunde genommen ein einziger langer Laut sind, der als ein einziger geäußert wird. Alle drei Laute sollten gleichmäßig geäußert werden. Die Äußerung sollte mit tiefer, leiser Stimme erfolgen, als käme sie aus der Tiefe.
Wie das Mantra idealerweise verwendet wird, wird in der Katha Upanishad sehr schön beschrieben: „Aum sollte unaufhörlich im Herzen widerhallen“ [4]. Diesem Rat folgend sollten wir es zunächst laut und äußerlich anstimmen – schließlich handelt es sich um eine Kehlkopf-Chakra-Meditation – und es dann verinnerlichen. Achte darauf, dass du es langsam und tief intonierst. Sei von ihm erfüllt und vergiss alles andere. Werde das Aum; werde der Klang. Lass es durch deinen Körper, deinen Geist und dein Nervensystem schwingen.
Wenn du dich damit im Einklang fühlst, hörst du auf, ihn laut zu intonieren und fängst an, ihn innerlich zu singen – aber immer noch „laut“ in dem Sinne, dass sich der Klang in deinem ganzen Körper ausbreitet und jeden Teil davon erreicht. Fühle dich dadurch belebt, als ob dein Körper ein Musikinstrument ist und diese harmonische Melodie am meisten braucht. Denke daran, dass wir musikalische Wesen sind und deshalb so stark und unmittelbar auf harmonische Klänge reagieren.
Bleib wach. Erlaube dir nicht einzuschlafen. Das Singen kann dich leicht zum Einschlafen bringen, weil es mechanisch entspannend ist. Lass den Klang innerlich lang und langsam sein. Lasse den Klang in den Hintergrund treten und mache ihn zu deinem ewigen Hintergrund – ein essentieller Klang, der seit Anbeginn der Zeit, vor deiner Existenz, da war und den du nur in dir selbst findest
Anleutung
Vorbereitun: Der gesamte Prozess dauert fünfundzwanzig Minuten.
Stufe I (Zehn Minuten)
Singe Aum laut, tief und langsam. Sei davon erfüllt und vergiss alles andere. Werde das Aum; werde der Klang. Lass ihn durch deinen Körper, deinen Geist und dein Nervensystem schwingen und spüre, dass dein ganzes Wesen von ihm erfüllt ist; jede Zelle schwingt mit.
Stufe II (Fünf Minuten)
Lass Aum weiterhin „laut“ in deinem Wesen mitschwingen. Erlaube ihm, wie ein starkes Echo deines vorherigen Gesangs zu klingen. Erlaube dem Klang, sich in deinem ganzen Körper auszubreiten und jeden Teil deines Körpers zu erreichen (nicht nur den Kopf). Fühle dich dadurch vitalisiert, als ob neues Leben in dich eindringt.
Stufe III (Zehn Minuten)
Lass Aum in den Hintergrund treten und wie ein fernes Echo klingen. Du rezitierst es nicht mehr. Es ist nicht dein Mantra – es ist das Mantra des Universums, und du hörst nur zu. Es existiert außerhalb von dir, außerhalb deines Geistes. Du nimmst nur seine Reflexion in deinem Geist wahr. Stell dir vor, dass es ein Klang ist, der seit Anbeginn der Zeit widerhallt, der an den äußersten Rändern des Kosmos vibriert und dich nach Hause ruft. Folge jedem Aum, als ob du es am Schwanz packen würdest. Es ist wie ein magisches Wesen, das dich dorthin bringen kann, wo es herkommt: zum Ursprung des Universums. Es entspringt dieser Quelle und kehrt immer wieder zu ihr zurück. Bei jedem Erscheinen erschafft es das Universum, erhält es und kehrt dann in die Leere zurück. So flackert die Schöpfung ständig. Wann immer du Aum zu seiner Wurzel folgst, lass dich von ihm in die unergründlichen Tiefen der Stille führen, aus der es hervorgegangen ist. Bleibe am Ende für einen langen Moment in der Stille.
Nach der Meditation: Du kannst umhergehen und das Aum die ganze Zeit langsam im Hintergrund mitschwingen lassen. Alles, was du jetzt ansiehst, hat den ewigen Hintergrund von Aum. Was auch immer du tust, du bist mit dem kosmischen Unbekannten verbunden. Lass das Aum ein Klang sein, der unter deinen weltlichen Gedanken und Gefühlen liegt. Auf diese Weise hat sogar die geistige Aktivität einen breiteren kosmischen Kontext.
Fußnoten
1. Easwaran, The Upanishads, 203–5.
2. Easwaran, The Upanishads, 78.
3. Easwaran, The Upanishads, 204.
4. Easwaran, The Upanishads, 78.
____